Ein No-Deal-Brexit könnte in Deutschland mehr als 100.000 Arbeitsplätze kosten und die Automobil- und Technologiebranche am schlimmsten treffen.
Dies geht aus einer neuen Studie eines Wirtschaftsforschungszentrums hervor, wonach Deutschland das am stärksten betroffene EU-Land wäre, wenn es um Arbeitsplätze geht, falls das Vereinigte Königreich die EU ohne ein Rücktrittsabkommen verlässt.
Die vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführte Studie untersuchte die Auswirkungen eines harten Brexits auf verschiedene Teile Deutschlands und zeigte, dass die Automobil- und Technologiebranche die Hauptlast tragen würde.
„In keinem anderen Land ist die Auswirkung auf die Gesamtbeschäftigung so groß wie in Deutschland“, sagte einer der Autoren der Studie, Oliver Holtemöller, gegenüber der Zeitung Welt am Sonntag.
Die Studie kam, da die Befürchtungen über den Ausgang des Brexit weiter zunehmen. Das Vereinigte Königreich soll noch immer am 29. März aus dem Block austreten. Derzeit gibt es jedoch noch keine Vereinbarung.
Wirtschaftsführer in Deutschland warnen seit langem vor den Konsequenzen des Austritts Großbritanniens, wenn keine Rücktrittsvereinbarung geschlossen wurde. Dies könnte zu großen Handelsstörungen führen.
Trotzdem hat die Finanzmetropole Frankfurt im Vorfeld des Brexit positive Auswirkungen, da mehrere Unternehmen dorthin umgezogen sind oder dies in Zukunft planen.
Am Sonntag bestätigte eine Sprecherin der britischen Regierung gegenüber der DPA, dass Premierministerin Theresa May das Parlament in London um mehr Zeit für Neuverhandlungen mit der EU bitten wollte. Eine Abstimmung über die weitere Vorgehensweise ist jetzt für den 27. Februar geplant.
Die Autoindustrie wäre am schlimmsten betroffen
Nach einem sogenannten unregulierten oder ungeordneten Brexit würden auf die Einfuhren nach Großbritannien Zölle erhoben. Die Studie erfasst, wie ein daraus resultierender Einbruch der Exporte den Arbeitsmarkt in Europa beeinflussen würde. Weitere Brexit-Gefahren für den Arbeitsmarkt, wie Investitionsneigung, wurden in den Zahlen nicht berücksichtigt.
Die Forscher glauben, dass die Staaten, die im Falle eines No-Deals am gefährlichsten sind, Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen sind, in denen Automobilunternehmen wie Audi, BMW, VW und Mercedes ansässig sind. Demgegenüber wären die ostdeutschen Staaten nicht den gleichen hohen Risiken ausgesetzt.
Die Autoindustrie wäre am stärksten von einem Rückgang der Exporte betroffen, stellte die Studie fest. Gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten sind die größten Auswirkungen am VW-Standort Wolfsburg und am BMW-Standort Dingolfing-Landau in Niederbayern zu spüren.
Für Wolfsburg ergab eine Untersuchung, dass 500 Beschäftigte potenziell betroffen waren, für Dingolfing-Landau waren es 265. In beiden Fällen sind dies rund 0,4 Prozent der Gesamtbelegschaft.
Viele Mitarbeiter (726 oder rund 0,3 Prozent) müssten sich auch um ihre Arbeitsplätze im Stadtteil Böblingen bei Stuttgart fürchten. Dort befinden sich Technologieunternehmen wie IBM und Siemens, und Daimler hat auch eine Anlage.
Ähnlich ist die Situation im Märkischen Kreis in Südwestfalen, wo viele mittelständische Unternehmen mit Auslandsgeschäft ansässig sind. Laut Studie sind hier 703 Arbeitsplätze oder 0,3 Prozent der Beschäftigten potenziell gefährdet.
Über 600.000 Arbeitsplätze weltweit
Die Studie zeigte, dass weltweit 612.000 Menschen nach einem No-Deal-Brexit ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. In Frankreich wären nach Berechnungen der Forscher fast 50.000 Arbeitnehmer betroffen, in China sind es 59.000.
In der Studie gingen die Autoren davon aus, dass die britischen Importe nach einem No-Deal-Brexit um 25 Prozent zusammenbrechen würden – ein Wert, der aktuellen Schätzungen entspricht. Sie entwickelten eine Formel, mit der sie berechnen konnten, wie sich ein solcher Importeinbruch auf die Branche und das Land auswirken würde. Grundlage waren Daten aus der World Input Output Database (WIOD).
Andererseits sollten andere Brexit-Nachrichten den Arbeitnehmern in der EU Hoffnung geben. Das niederländische Wirtschaftsministerium gab am Samstag bekannt, dass 42 britische Unternehmen seit 2018 in die Niederlande gezogen sind. Laut ihrer Aussage wurden 291 Millionen Euro in den Umzug investiert und rund 2000 Arbeitsplätze geschaffen.